Verwaltungsvorschrift
des Sächsischen Staatsministeriums des Innern
zur Zumutbarkeit denkmalpflegerischer Erhaltungsmaßnahmen
(VwV Zumutbarkeit des Denkmalerhalts)

Vom 12. Juni 2013

I.
Auslegung von § 8 Sächsisches Denkmalschutzgesetz

Für die Auslegung von § 8 des Gesetzes zum Schutz und zur Pflege der Kulturdenkmale im Freistaat Sachsen (Sächsisches Denkmalschutzgesetz – SächsDSchG) vom 3. März 1993 (SächsGVBl. S. 229), zuletzt geändert durch Artikel 11 des Gesetzes vom 27. Januar 2012 (SächsGVBl. S. 130, 140), gilt Folgendes:

1.
Sozialpflichtigkeit

Die Pflicht der Eigentümer und mittelbar auch der Besitzer zur pfleglichen Behandlung, zur denkmalgerechten Erhaltung und zum Schutz von Kulturdenkmalen ergibt sich aus der Sozialpflichtigkeit (Artikel 14 Abs. 2 des Grundgesetzes, Artikel 31 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Sachsen). Das Sächsische Denkmalschutzgesetz begrenzt diese Pflicht auf den Rahmen des Zumutbaren, da auch die verfassungsrechtliche Sozialpflichtigkeit durch die Zumutbarkeit begrenzt ist. Der Eigentümer eines Kulturdenkmals muss bestimmte wirtschaftliche Beschränkungen (zum Beispiel geringere Nutzung) entschädigungslos hinnehmen, die einen Eigentümer ohne vergleichbare Bindung nicht treffen. Die nachfolgenden Erläuterungen geben einen ersten Einstieg für die Beurteilung der Zumutbarkeit. Im konkreten Einzelfall ist diese unter Heranziehung der Rechtsprechung und Fachliteratur sorgfältig rechtlich zu prüfen.

2.
Zumutbarkeit

Die Zumutbarkeit ist wie die Sozialpflichtigkeit nach objektiven Maßstäben zu beurteilen. Die subjektiven Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Erhaltungspflichtigen sind nicht unmittelbar maßgebend, sie haben nur mittelbare Auswirkung im Falle der Anrechnung von Steuervergünstigungen.

3.
Einzelfallentscheidung

Die pflegliche Behandlung und der Schutz vor Gefährdung sind in der Regel zumutbar. Bei Maßnahmen zur Erhaltung ist im Einzelfall festzustellen, ob die Grenze des Zumutbaren trotz behördlicher Erhaltungsanforderungen eingehalten wird oder bei unabweisbaren Erhaltungsauflagen die Zumutbarkeit durch öffentliche Zuschüsse hergestellt werden kann.

4.
Wirtschaftlichkeitsberechnung

Die Bestimmung der Grenze zwischen hinzunehmender Belastung infolge Sozialpflichtigkeit und (gegebenenfalls entschädigungspflichtigem) Eingriff mit enteignender Wirkung ist nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorzunehmen. Maßgeblicher Bewertungszeitpunkt ist der des Eingriffs, zum Beispiel der Anordnung oder Genehmigung. Dies hat in Form einer Wirtschaftlichkeitsberechnung zu erfolgen. Dabei sind staatliche, kommunale und sonstige Zuschüsse sowie steuerliche Vergünstigungen zu berücksichtigen.

Mit der Wirtschaftlichkeitsberechnung soll ermittelt werden, ob die wirtschaftliche Belastung durch die Kosten für die Erhaltung und Bewirtschaftung des Kulturdenkmales dauerhaft durch dessen Erträge oder den Gebrauchswert aufgewogen werden. Hierzu hat in vier Schritten eine objektbezogene Vergleichsberechnung zu erfolgen:

 
a)
Aufstellung der voraussichtlichen notwendigen Sanierungskosten, die mit der Denkmalschutzbehörde abgestimmt sein sollen
 
b)
Davon sind folgende Kosten abzuziehen:
 
 
aa)
Mehrkosten aufgrund pflichtwidrig unterlassener Investitionskosten
 
 
bb)
Mögliche Steuervorteile bei Instandsetzung (aus Kosten nach Buchstabe a)
 
 
cc)
Mögliche Zuwendungen (Denkmalfördermittel, Spenden et cetera)
Ergebnis (a – b) = Basiskosten
 
c)
Hinzurechnung der anteiligen Finanzierungs- und Bewirtschaftungskosten für die Basiskosten Ergebnis
(Basiskosten + c) = Gesamtkosten
 
d)
Gegenüberstellung der Gesamtkosten mit den aus dem Objekt zu erzielenden Einnahmen (Erträge und Gebrauchswert)

Übersteigen die Gesamtkosten die aus dem Objekt zu erzielenden Einnahmen dauerhaft, liegt eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit vor.

5.
Fallbeispiele
a)
In der Regel ist die wirtschaftliche Belastung für den Eigentümer unzumutbar, soweit die Kosten der Erhaltung und Bewirtschaftung nicht durch die Erträge oder den Gebrauchswert des Kulturdenkmals aufgewogen werden können.
b)
Eine wirtschaftlich geringfügige Beeinträchtigung hält sich noch im Rahmen der Sozialbindung. Der Eigentümer kann sich nicht auf Belastungen durch erhöhte Aufwendungen berufen, die dadurch verursacht worden sind, dass Erhaltungsmaßnahmen entgegen gesetzlicher Verpflichtung unterblieben sind.
c)
Dem Erhaltungspflichtigen kann nicht zugemutet werden, den Erhalt des Kulturdenkmals langfristig und dauerhaft aus seinem übrigen Vermögen zu finanzieren.
d)
Je nach den Umständen des Einzelfalls kann eine Erhaltungsanordnung inhaltlich auf Maßnahmen zu beschränken sein, die einen Erhalt des Kulturdenkmals noch sichern, ohne den denkmalfachlichen Idealzustand zu erreichen.
6.
Verfahren

Die Pflichten nach § 8 Abs. 1 SächsDSchG sind unter anderem Grundlage für den Erlass von konkreten Anordnungen nach § 11 SächsDSchG und Grundlage der Genehmigungsentscheidungen nach § 12 SächsDSchG . In den entsprechenden Bescheiden oder im Rahmen von Zustimmungen bei bauaufsichtlichen Verfahren nach § 12 Abs. 3 SächsDSchG ist deshalb als Abwägungsbelang im Rahmen der Ermessensausübung die Zumutbarkeit der angeordneten Maßnahmen und Auflagen für den Eigentümer eingehend zu erörtern.

II.
Zuschüsse

1.
Allgemeines

Die staatlichen Zuschüsse an Eigentümer und Besitzer von Kulturdenkmalen sollen diese bei der Erfüllung der sich aus der Sozialbindung ergebenden Pflichten unterstützen. Durch die Zuschüsse kann die Grenze der Zumutbarkeit von Erhaltungsmaßnahmen (ausnahmsweise auch von Maßnahmen der Pflege und des Schutzes) hinausgeschoben werden. Die Zuschüsse sind keine Entschädigung für solche Maßnahmen des Denkmalschutzes, die enteignende Wirkung haben (§ 26 Abs. 1 SächsDSchG).

2.
Rechtsgrundlagen

Das Staatsministerium des Innern hat folgende Vorschriften für die Gewährung von Zuwendungen zur Erhaltung und Pflege von Kulturdenkmalen erlassen:

a)
für das Landesprogramm Denkmalpflege:
Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die Gewährung von Zuwendungen zur Erhaltung und Pflege von Kulturdenkmalen (Sächsische Denkmalschutzförderungsverordnung – SächsDSchföVO) vom 18. Februar 2009 (SächsGVBl. S. 85, 259), geändert durch Artikel 22 der Verordnung vom 1. März 2012 (SächsGVBl. S. 173, 179), in der jeweils geltenden Fassung,
b)
für das Sonderprogramm Denkmalpflege:
Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die Gewährung von Zuwendungen zur Erhaltung und Pflege von sächsischen Kulturdenkmalen und zur Aus- und Fortbildung der Denkmalpflege ( VwV-Denkmalförderung) vom 20. Dezember 1996 (SächsABl. 1997 S. 1088), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 4. Dezember 2012 (SächsABl. S. 1489), zuletzt enthalten in der Verwaltungsvorschrift vom 9. Dezember 2011 (SächsABl. SDr. S. S 1648), in der jeweils geltenden Fassung.

III.
Inkrafttreten

Diese Verwaltungsvorschrift tritt am Tage nach ihrer Veröffentlichung in Kraft.

Dresden, den 12. Juni 2013

Der Staatsminister des Innern
Markus Ulbig

Änderungsvorschriften