Historische Fassung war gültig vom 16.02.2016 bis 16.08.2024

Verordnung
des Sächsischen Staatsministeriums
für Soziales und Verbraucherschutz
über die Anordnung von Vollzugslockerungen im Maßregelvollzug
(Vollzugslockerungsverordnung – VollzLVO)

Vom 27. Januar 2016

Auf Grund des § 42 Absatz 1 des Sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Oktober 2007 (SächsGVBl. S. 422), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 2014 (SächsGVBl. S. 446) geändert worden ist, verordnet das Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern und dem Staatsministerium der Justiz:

§ 1
Vollzugslockerungen

(1) Vollzugslockerungen im Sinne dieser Verordnung sind

1.
begleiteter Ausgang außerhalb des gesicherten Bereiches, aber innerhalb des den gesicherten Bereich umgebenden Krankenhausgeländes (L1),
2.
begleiteter Ausgang außerhalb des Krankenhausgeländes in einen begrenzten Bereich der sie umgebenden Gemeinde (L2),
3.
unbegleiteter Einzelausgang, der räumlich und zeitlich innerhalb eines Tages begrenzt ist (L3),
4.
Freigang (L4): ein unbeaufsichtigter Aufenthalt außerhalb des Krankenhausgeländes für eine bestimmte Zeit innerhalb eines Tages, um einer Beschäftigung nachzugehen oder an einer arbeitstherapeutischen Maßnahme teilzunehmen,
5.
Beurlaubung (L5): ein unbeaufsichtigter Aufenthalt außerhalb des Krankenhausgeländes über mindestens eine Nacht bis zu zwei Wochen,
6.
Langzeitbeurlaubung (L6): eine Beurlaubung von mehr als zwei Wochen, die insbesondere das Probewohnen und das betreute Wohnen umfasst.

(2) 1Die ärztliche Leitung der Maßregelvollzugseinrichtung kann eine weitere Differenzierung innerhalb einer Vollzugslockerung in Abhängigkeit von den baulichen, personellen, situativen und konzeptionellen Gegebenheiten vornehmen. 2Dazu zählen insbesondere begleiteter Gruppenausgang, Kurzurlaub bis zu drei Tagen, Beurlaubung bis zu einer Woche. 3Die vorgenommenen weiteren Differenzierungen sind schriftlich festzuhalten und zu begründen.

(3) 1Vollzugslockerungen sollen nacheinander gemäß der Reihenfolge in Absatz 1 durchlaufen werden. 2Eine höhere Vollzugslockerung soll erst gewährt werden, wenn sich der Untergebrachte in einem angemessenen Zeitraum in der vorhergehenden bewährt hat. 3Ein Überspringen ist möglich, wenn dies nach der aktuellen Prognose gemäß § 2 Absatz 1 verantwortet werden kann.

§ 2
Verfahren

(1) 1Vor einer Entscheidung über die Gewährung oder Versagung einer Vollzugslockerung ist eine Prognose über den Eintritt der in § 38 Absatz 3 Satz 1 des Sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten genannten Risiken unter Anwendung anerkannter forensisch-psychiatrischer Prognosemethoden zu treffen. 2Bei unklarer Prognoselage kann eine externe Begutachtung veranlasst werden, insbesondere

1.
bei Patienten, die bereits Entweichungen oder Lockerungsmissbräuche begangen haben,
2.
bei persönlichkeitsgestörten Patienten, die
 
a)
wegen einer der in § 181b des Strafgesetzbuches genannten Straftaten,
 
b)
wegen eines Verbrechens gemäß den §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuches mit sexuellem Bezug,
 
c)
wegen eines Vergehens gemäß § 323a des Strafgesetzbuches in Verbindung mit einer Tat nach den Buchstaben a oder b
 
verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt wurden, weil sie ohne Schuld gemäß § 20 des Strafgesetzbuches handelten.

3Bei Patienten, für die neben der Maßregel nach § 63 oder § 64 des Strafgesetzbuches auch eine solche nach § 66 des Strafgesetzbuches angeordnet ist, soll eine externe Begutachtung veranlasst werden, bevor die Vollzugslockerung L3 bewilligt wird. 4Das gilt auch, wenn die Vollzugslockerung L3 gemäß § 1 Absatz 3 Satz 3 übersprungen wird.

(2) Wenn eine Überweisung des Patienten in den Strafvollzug ansteht, ist in die Prognose insbesondere einzustellen, inwieweit durch die Teilnahme an einer Vollzugslockerung sich die Risiken nach § 38 Absatz 3 Satz 1 des Sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten erhöhen.

(3) 1Im Rahmen der Anhörung nach § 38 Absatz 3 Satz 3 des Sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten ist der zuständigen Vollstreckungsbehörde bei den Vollzugslockerungen L3 bis L6 ein Bericht zur Person des Patienten und zu den wesentlichen aktuellen Behandlungsergebnissen zu übermitteln. 2Der Bericht begründet, warum der Patient den Anforderungen der vorgesehenen Vollzugslockerung entspricht. 3Gleiches gilt für die erneute Gewährung einer Vollzugslockerung nach einem Widerruf. 4Die Vollstreckungsbehörde soll innerhalb einer Frist von drei Wochen schriftlich zu der vorgesehenen Vollzugslockerung Stellung nehmen. 5In der Stellungnahme der Vollstreckungsbehörde ist insbesondere auf mögliche Risiken einzugehen, die sich auf Grund offener Ermittlungs- oder Strafverfahren oder vorhandener Strafreste aus früheren Verfahren ergeben.

(4) 1Die Entscheidung trifft die ärztliche Leitung der Maßregelvollzugseinrichtung. 2Zuvor hat sie die an der Behandlung des Patienten beteiligten Ärzte, Therapeuten und Pfleger anzuhören. 3Der Patient ist durch die ärztliche Leitung oder durch einen an seiner Behandlung beteiligten Arzt oder Therapeuten anzuhören.

(5) 1Die Entscheidung einschließlich der Gründe und die Anhörung nach Absatz 3 sind zu dokumentieren. 2Die Entscheidung ist dem Patienten zu begründen.

§ 3
Verlaufskontrolle und Durchführung

(1) 1Vollzugslockerungen sind in angemessenen Abständen zu überprüfen. 2§ 2 Absatz 1, 2, 4 und 5 gilt entsprechend.

(2) Der Verlauf der Vollzugslockerung ist regelmäßig therapiebezogen mit dem Patienten zu besprechen.

(3) 1Die ärztliche Leitung der Maßregelvollzugseinrichtung erteilt dem Patienten die für die Vollzugslockerung erforderlichen Auflagen und Weisungen. 2Insbesondere kann sie dem Patienten aufgeben,

1.
sich einer Behandlung zu unterziehen,
2.
sich der Aufsicht einer bestimmten Stelle oder Person zu unterstellen,
3.
Anordnungen zu befolgen, die sich auf den Aufenthalt oder ein bestimmtes Verhalten außerhalb der Einrichtung beziehen,
4.
in bestimmten Abständen für kurze Zeit in die Einrichtung zurückzukehren.

(4) Bei der Durchführung der Vollzugslockerungen L1 und L2 ist sicherzustellen, dass die Anzahl und die persönliche Eignung der zur Begleitung vorgesehenen Bediensteten den Sicherheitserfordernissen genügen.

§ 4
Aussetzung

(1) 1Bei im Krankheitsverlauf des Patienten oder in seinem Verhalten liegenden Gründen, insbesondere bei Verstößen gegen Auflagen und Weisungen, ist jeder am Behandlungsprozess beteiligte Arzt, Therapeut und Pfleger befugt, die Vollzugslockerung einstweilig auszusetzen. 2Die Aussetzung und die Gründe dafür sind zu dokumentieren. 3§ 2 Absatz 5 gilt entsprechend.

(2) Die ärztliche Leitung der Maßregelvollzugseinrichtung entscheidet unverzüglich über die weitere Aussetzung, den Widerruf oder die Beibehaltung der Vollzugslockerung.

§ 5
Widerruf

(1) Vollzugslockerungen sind zu widerrufen, wenn

1.
Umstände eintreten oder nachträglich bekannt werden, die eine Versagung gerechtfertigt hätten,
2.
Patienten die Lockerung missbrauchen oder
3.
Patienten den Auflagen und Weisungen nicht nachkommen.

(2) 1Über den Widerruf entscheidet die ärztliche Leitung der Maßregelvollzugseinrichtung nach Anhörung des Patienten. 2§ 2 Absatz 1, 2, 4 und 5 gilt entsprechend.

(3) Die zuständige Vollstreckungsbehörde ist über den Widerruf einer Vollzugslockerung und dessen Gründe schriftlich zu informieren.

§ 6
Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Dresden, den 27. Januar 2016

Die Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz
Barbara Klepsch