Gesetz
zur Ausübung des Berufes der Hebamme und des Entbindungspflegers
(Sächsisches Hebammengesetz – SächsHebG)
Vom 9. Juli 1997
Rechtsbereinigt mit Stand vom 25. Mai 2018
Der Sächsische Landtag hat am 12. Juni 1997 das folgende Gesetz beschlossen:
Inhaltsübersicht: 1
- § 1
- Zweck des Gesetzes
- § 2
- Berufspflichten
- § 3
- Aufgaben
- § 4
- Beiziehung eines Arztes
- § 5
- Anwendung von Arzneimitteln
- § 6
- Schweigepflicht
- § 7
- Dokumentationspflicht
- § 8
- Qualitätssicherung, Fortbildung
- § 9
- Aufsicht des Gesundheitsamtes, Pflichten bei freiberuflicher Tätigkeit
- § 10
- Außerkrafttreten von Rechtsvorschriften
- § 11
- Inkrafttreten
§ 1
Zweck des Gesetzes
1Mit diesem Gesetz wird die Berufsausübung der Hebammen und Entbindungspfleger (Hebammen) im Freistaat Sachsen geregelt. 2Es dient insbesondere der Umsetzung des Artikels 42 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255 vom 30. September 2005, S. 22, L 271 vom 16. Oktober 2007, S. 18, L 93 vom 4. April 2008, S. 28, L 33 vom 3. Februar 2009, S. 49), die zuletzt durch Verordnung (EU) Nr. 213/2011 (ABl. L 59 vom 4. März 2011, S. 4) geändert worden ist. 2
§ 2
Berufspflichten
1Die Hebammen sind verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft und entsprechend dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft auszuüben. 2Sie haben das Lebensrecht des Ungeborenen und die Menschenwürde der Mutter und des Neugeborenen zu achten.
§ 3
Aufgaben
(1) 1Hebammen haben Schwangeren, Gebärenden, Wöchnerinnen und Neugeborenen Hilfe zu leisten und dabei deren Gesundheit zu schützen und zu erhalten. 2Im Rahmen dieser Aufgabe führen Hebammen insbesondere folgende Tätigkeiten in eigener Verantwortung aus:
- 1.
- angemessene Aufklärung und Beratung in Fragen der Familienplanung,
- 2.
- Feststellung der Schwangerschaft und Beobachtung der normal verlaufenden Schwangerschaft, Durchführung der üblichen Kontrolluntersuchungen zur Überwachung des normalen Schwangerschaftsverlaufs,
- 3.
- Veranlassung der Untersuchungen, die für eine möglichst frühzeitige Feststellung einer Risikoschwangerschaft notwendig sind, einschließlich Aufklärung über diese Untersuchungen,
- 4.
- Vorbereitung auf die Elternschaft, umfassende Vorbereitung auf die Geburt einschließlich Beratung in Fragen der Hygiene und Ernährung,
- 5.
- Betreuung der Gebärenden während der Geburt und Überwachung des Fötus in der Gebärmutter mit Hilfe geeigneter technischer und klinischer Mittel,
- 6.
- Durchführung von Normalgeburten und bei fehlender ärztlicher Hilfe von Beckenendlagengeburten, Ausführung von Dammschnitten und Versorgung von unkomplizierten Geburtsverletzungen,
- 7.
- Untersuchung, Überwachung und Pflege des Neugeborenen im erforderlichen zeitlichen Umfang; hierzu gehören auch vorbeugende Maßnahmen sowie die Einleitung und Durchführung der erforderlichen Maßnahmen in Notfällen, insbesondere sofortige Wiederbelebung des Neugeborenen,
- 8.
- Betreuung der Wöchnerin und Überwachung des Zustandes der Mutter im erforderlichen zeitlichen Umfang sowie Beratung und Anleitung zur bestmöglichen Ernährung und Pflege des Neugeborenen, Hinweis auf ärztliche Vorsorgeuntersuchungen sowie Schutzimpfungen für Neugeborene und Säuglinge gemäß Empfehlung der Sächsischen Impfkommission,
- 9.
- Anleitung der Wöchnerin zum Stillen und Hilfe bei Stillproblemen bis zum Ende der Stillzeit,
- 10.
- Durchführung der vom Arzt verordneten Behandlung.
(2) 1Hebammen haben Schwangere, Gebärende und Wöchnerinnen über jede beabsichtigte Maßnahme und deren Folgen aufzuklären. 2Bei der Aufklärung sind neben medizinischen auch soziale und psychische Faktoren zu berücksichtigen. 3
§ 4
Beiziehung eines Arztes
(1) 1Hebammen haben auf Regelwidrigkeiten und Risikofaktoren zu achten und erforderlichenfalls dafür zu sorgen, daß ein Arzt beigezogen oder die Einweisung in eine Klinik veranlaßt wird. 2Übernimmt ein Arzt in diesen Fällen die Behandlung, haben die Hebammen den Anweisungen des Arztes Folge zu leisten. 3Ist in Notfällen ärztliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen, führen die Hebammen die erforderlichen Maßnahmen selbst durch. 4Zu diesen gehören insbesondere die manuelle Ablösung der Plazenta mit manueller Nachuntersuchung der Gebärmutter sowie die sofortige Wiederbelebung der Frauen.
(2) 1Verlangt der Arzt von der Hebamme eine geburtshilfliche Handlung, die diesem Gesetz oder den anerkannten Regeln der Geburtshilfe widerspricht, hat diese den Arzt darauf hinzuweisen und den Sachverhalt sowie die dazu von ihr gegebene Empfehlung zu dokumentieren. 2Soweit es die geburtshilfliche Situation erlaubt, kann die Hebamme die Durchführung der ärztlichen Anweisung verweigern. 4
§ 5
Anwendung von Arzneimitteln
(1) Hebammen dürfen ohne ärztliche Anweisung oder Verordnung folgende Arzneimittel unter Beachtung der Gebrauchsinformationen anwenden und verabreichen:
- 1.
- bei gegebener Indikation in der Eröffnungsperiode ein nichtverschreibungspflichtiges krampflösendes oder schmerzstillendes Medikament, das für die Geburtshilfe angezeigt ist,
- 2.
- im Falle von unkomplizierten Geburtsverletzungen ein nichtverschreibungspflichtiges Lokalanästhetikum,
- 3.
- bei Notsituationen unmittelbar vor und während der Geburt sowie in der Nachgeburtsperiode, falls ein Arzt nicht rechtzeitig zugezogen werden kann oder die rechtzeitige Einweisung in ein Krankenhaus nicht möglich ist, Medikamente, die gemäß der jeweils gültigen Anlage zur Verordnung über verschreibungspflichtige Arzneimittel zur Abgabe an Hebammen vorgesehen sind.
(2) Freiberuflich tätige Hebammen haben diese Arzneimittel verfügbar zu halten.
(3) 1Arzneimittel sind vor dem Zugriff von Unbefugten geschützt zu lagern. 2Die Qualität der Arzneimittel darf durch die Art und Weise der Lagerung nicht beeinflusst werden. 3Arzneimittel sind so zu lagern, dass insbesondere Verwechslungen ausgeschlossen werden. 4Unberührt bleiben sonstige Vorschriften über die Lagerung von Arzneimitteln. 5
§ 6
Schweigepflicht
(1) 1Hebammen haben über das, was ihnen im Rahmen der Berufsausübung anvertraut worden oder bekannt geworden ist, zu schweigen, auch über den Tod der betreuten Frauen hinaus. 2Dazu gehören auch schriftliche Mitteilungen der betreuten Frauen, Aufzeichnungen über die betreuten Frauen und sonstige Untersuchungsbefunde. 3Wenn mehrere Hebammen und Ärzte gleichzeitig oder nacheinander dieselbe Frau behandeln oder betreuen, so sind sie untereinander insoweit von der Schweigepflicht befreit, als das Einverständnis der Frau vorliegt oder anzunehmen ist.
(2) 1Hebammen sind zur Offenbarung befugt, soweit sie von der Schweigepflicht entbunden worden sind oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist. 2Gesetzliche Aussage- und Anzeigepflichten bleiben unberührt. 3Soweit gesetzliche Vorschriften die Schweigepflicht der Hebammen einschränken, sollen die betreuten Frauen darüber unterrichtet werden.
(3) Hebammen haben ihre Mitarbeiter und Auszubildenden über deren Pflicht zur Verschwiegenheit zu belehren und dies schriftlich festzuhalten. 6
§ 7
Dokumentationspflicht
(1) 1Hebammen haben die in ihrer beruflichen Tätigkeit getroffenen Feststellungen und Maßnahmen zu dokumentieren. 2Anhand der Dokumentation müssen sämtliche Vorgänge nachvollziehbar sein.
(2) Die Dokumentationen sind für die Dauer von 10 Jahren nach Abschluss der Behandlung und Betreuung aufzubewahren, soweit nicht eine längere Aufbewahrung erforderlich ist.
(3) Bei Beendigung der Berufsausübung sind die Dokumentationen dem zuständigen Gesundheitsamt zu übergeben.7
§ 8
Qualitätssicherung, Fortbildung
(1) Hebammen sind verpflichtet, sich an Maßnahmen zur Qualitätssicherung des Arbeitgebers, des Gesundheitsamtes oder der Berufsverbände sowie an Perinatalerhebungen zu beteiligen.
(2) 1Hebammen sind verpflichtet, sich beruflich fortzubilden. 2Sie haben in dem Umfang von Fortbildungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, wie dies zur Erhaltung und Entwicklung der zur Berufsausübung notwendigen Fachkenntnisse und effizienten beruflichen Leistung erforderlich ist. 3Dazu sind neben dem fachlichen Sachverstand kommunikative, soziale und methodische Fähigkeiten sowie ethische Kompetenzen zu vervollkommnen.
(3) 1Geeignete Fortbildungen sind Veranstaltungen zum Tätigkeitsspektrum der Hebamme, insbesondere zu sich ändernden Rahmenbedingungen der Berufsausübung, Notfällen in der Geburtshilfe, zur Reanimation von Neugeborenen und zu ethischen Fragen sowie zur Infektionsprophylaxe einschließlich Schutzimpfungen. 2Der Nachweis über eine kontinuierliche Teilnahme an Fortbildungen ist in geeigneter Form zu erbringen und auf Verlangen dem Gesundheitsamt oder der im Freistaat Sachsen für das Erteilen der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Hebamme zuständigen Behörde vorzulegen. 3Der Umfang der kompetenzerhaltenden Maßnahmen darf, neben dem Studium der Fachliteratur, 60 Fortbildungsstunden in je 3 Jahren nicht unterschreiten. 8
§ 9
Aufsicht des Gesundheitsamtes,
Pflichten bei freiberuflicher Tätigkeit
(1) 1Freiberuflich tätige Hebammen üben ihren Beruf unter Aufsicht des Gesundheitsamtes aus. 2Sie haben dem Gesundheitsamt auf Verlangen die hierfür notwendigen Auskünfte zu erteilen und Einblick in ihre Aufzeichnungen und Tagebücher zu gewähren.
(2) 1Sie haben das Gesundheitsamt unverzüglich zu benachrichtigen, wenn eine von ihnen betreute Schwangere, Gebärende, Wöchnerin, ein Neugeborenes oder ein Säugling verstorben oder eine Totgeburt erfolgt ist. 2Personenbezogene Daten sind in diesem Zusammenhang nur insoweit zu übermitteln, wie dies zur Aufklärung des in Satz 1 geschilderten Sachverhaltes und zur Wahrnehmung der Kontrollbefugnisse durch das Gesundheitsamt erforderlich ist.
(3) Freiberuflich tätige Hebammen sind verpflichtet,
- 1.
- sich ausreichend gegen Haftpflichtansprüche im Rahmen der beruflichen Tätigkeit zu versichern,
- 2.
- ihre Praxis durch ein Schild zu kennzeichnen, das Namen, Berufsbezeichnung, Sprechstunden und Fernsprechnummer angibt,
- 3.
- berufsunwürdige Werbung zu unterlassen,
- 4.
- die Pflichten gemäß der §§ 3 und 5 Abs. 1 des Gesetzes über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung im Freistaat Sachsen (Sächsisches Patientenmobilitätsgesetz – SächsPatMobG) vom 2. April 2014 (SächsGVBl. S. 266), in der jeweils geltenden Fassung, zu erfüllen.
(4) 1Freiberuflich tätige Hebammen sollen zur gegenseitigen Vertretung bereit sein. 2Hebammen, die Geburtshilfe leisten, haben dafür zu sorgen, dass sie oder ihre Vertretung für die von ihnen betreuten Schwangeren oder Wöchnerinnen erreichbar sind.
(5) Sonstige Melde- und Anzeigepflichten bleiben unberührt. 9
§ 10
Außerkrafttreten von Rechtsvorschriften
10
Folgende Rechtsvorschriften treten, soweit sie gemäß Artikel 123 Abs. 1 und Artikel 125 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland Landesrecht enthalten, außer Kraft:
- 1.
- das Hebammengesetz vom 21. Dezember 1938 in der im Bundesgesetzblatt (BGBl.) Teil III, Gliederungsnummer 2124-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 55 des Gesetzes vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469),
- 2.
- die Zweite Verordnung zur Durchführung des Hebammengesetzes vom 13. September 1939 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2124-1-2, veröffentlichten bereinigten Fassung,
- 3.
- die Sechste Verordnung zur Durchführung des Hebammengesetzes vom 16. September 1941 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2124-1-6, veröffentlichten bereinigten Fassung, geändert durch Verordnung vom 3. September 1981 (BGBl. I S. 923),
- 4.
- die Siebente Verordnung zur Durchführung des Hebammengesetzes vom 20. August 1942 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2124-1-7, veröffentlichten bereinigten Fassung,
- 5.
- die Verordnung über Wochenpflegerinnen vom 7. Februar 1943 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2124-4, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 3 der Verordnung vom 18. April 1975 (BGBl. I S. 967).
§ 11
Inkrafttreten
1Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.
2Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und ist zu verkünden.
Dresden, den 9. Juli 1997
Der Landtagspräsident
Erich Iltgen
Der Ministerpräsident
Prof. Dr. Kurt Biedenkopf
Der Staatsminister
für Soziales, Gesundheit und Familie
Dr. Hans Geisler