Gesetz
über den öffentlichen Personennahverkehr
im Freistaat Sachsen
(ÖPNVG)
Vom 14. Dezember 1995
Rechtsbereinigt mit Stand vom 1. März 2012
Der Sächsische Landtag hat am 14. Dezember 1995 das folgende Gesetz beschlossen:
§ 1
Begriffsbestimmung und Anwendungsbereich
(1) 1Öffentlicher Personennahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr zu befriedigen. 2Ein solcher Verkehr liegt vor, wenn bei der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die Beförderungsstrecke 50 Kilometer oder die Beförderungszeit eine Stunde nicht übersteigt.
(2) 1Dieses Gesetz gilt für den öffentlichen Personennahverkehr auf Schiene und Straße. 2Öffentlicher Personennahverkehr ist auch der Verkehr mit Taxen oder Mietwagen, der einen Verkehr nach Absatz 1 ersetzt, ergänzt oder verdichtet. 3Er umfaßt auch den Linienverkehr mit Fähren, Bergbahnen und anderen Sonderverkehrsmitteln.
(3) Das Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr entscheidet im Zweifelsfall, ob die Voraussetzungen nach Absatz 1 und 2 vorliegen.1
§ 2
Zielstellung
(1) 1Der öffentliche Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. 2Dies ist bei der Ausgestaltung der Haushalte der Aufgabenträger nach § 3 Abs. 1 angemessen zu berücksichtigen. 3Der öffentliche Personennahverkehr soll im Interesse des Umweltschutzes, der Verkehrssicherheit, der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur sowie der Herstellung und Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen im gesamten Freistaat zur Verfügung stehen. 4Die Bedienung mit öffentlichen Verkehrsmitteln soll auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichtet werden und den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit berücksichtigen.
(2) 1Die Aufgabenträger arbeiten bei der Planung, Organisation und Ausgestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs zusammen und stimmen sich miteinander ab. 2Der Freistaat hat dabei im Rahmen seiner Gesamtverantwortung auf einen Interessenausgleich hinzuwirken. 3Dies gilt auch für den die Staatsgrenze überschreitenden öffentlichen Personennahverkehr.
(3) 1In verdichteten Räumen ist ein nachfrageorientierter Bedienungstakt vorzusehen, um eine angemessene Erschließung mit öffentlichen Verkehrsmitteln sicherzustellen. 2Dem öffentlichen Personennahverkehr soll in verdichteten Räumen der Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr eingeräumt werden. 3Die Bedienungsstandards für die verdichteten Räume sollen, soweit dies der Nachfrage entspricht, im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit mit abgestuften Bedienungskonzepten auch in den ländlichen Räumen angeboten werden.
(4) Schienengebundene Verkehrsleistungen sollen als Grundangebot ausgestaltet und die übrigen Leistungen des öffentlichen Personennahverkehrs darauf ausgerichtet werden.
(5) Zur Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs ist eine integrierte Verkehrsgestaltung durch die Bildung von Zweckverbänden und Verkehrskooperationen auch ländergrenzenüberschreitend anzustreben.
(6) Neben den Sicherheitsbedürfnissen der Fahrgäste, insbesondere von Frauen, sind die Belange von Menschen mit Behinderung sowie die Bedürfnisse von Personen, die in ihrer Mobilität beeinträchtigt sind, besonders zu berücksichtigen.
(7) 1Bei der Planung, Ausgestaltung und Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs sind die Ziele der Raumordnung und der Landesplanung zu beachten und die Grundsätze der Raumordnung und Landesplanung zu berücksichtigen. 2Bei der Regionalplanung sind die Ziele nach den Absätze 1 bis 6 sowie die Ziele der Nahverkehrsplanung nach § 5 zu beachten. 3Bei der Bauleitplanung sind die Belange des öffentlichen Personennahverkehrs nach § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 8 Baugesetzbuch zu berücksichtigen.
§ 3
Aufgabenbestimmung und Aufgabenträger
(1) 1Die Planung, Organisation und Ausgestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs ist vorbehaltlich der §§ 4 und 5 eine freiwillige Aufgabe der Landkreise und Kreisfreien Städte. 2Die Landkreise können durch Rechtsverordnung kreisangehörigen Gemeinden oder deren Zusammenschlüssen auf deren Antrag oder mit deren Zustimmung einzelne Aufgaben des öffentlichen Personennahverkehrs übertragen. 3Den Großen Kreisstädten, die aufgrund von § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Neugliederung des Gebietes der Landkreise des Freistaates Sachsen (Sächsisches Kreisgebietsneugliederungsgesetz – SächsKrGebNG) vom 29. Januar 2008 (SächsGVBl. S. 102) die Kreisfreiheit verloren haben, ist auf Antrag die Aufgabe des öffentlichen Personennahverkehrs zu übertragen.
(2) Zuständige Behörde für die Vereinbarung und Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates vom 26. Juni 1969 (ABl. EG Nr. L 156 S. 1) in der jeweils geltenden Fassung ist der Aufgabenträger oder das Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit, sofern die Aufgabe des Schienenpersonennahverkehrs vom Freistaat Sachsen wahrgenommen wird.2
§ 4
Zusammenarbeit der kommunalen Aufgabenträger
(1) Die Landkreise und Kreisfreien Städte und Gemeinden, denen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 3 die Aufgabe übertragen wurde, arbeiten flächendeckend in den Nahverkehrsräumen Vogtland, Chemnitz/Zwickau, Leipzig, Oberelbe und Oberlausitz/Niederschlesien in einer Form nach dem Sächsischen Gesetz über kommunale Zusammenarbeit in der jeweils gültigen Fassung zusammen.
(2) Den Zusammenschlüssen nach Absatz 1 ist ab 1. Juni 2002 die Aufgabe des Schienenpersonennahverkehrs zu übertragen.3
§ 5
Nahverkehrsplan
(1) Die Aufgabenträger gemäß § 3 Abs. 1 haben in Abstimmung untereinander für den Nahverkehrsraum einen verbindlichen Nahverkehrsplan zu erstellen, zu beschließen und fortzuschreiben.
(2) 1Der Nahverkehrsplan bildet den Rahmen für die Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs. 2Er hat insbesondere
- 1.
- eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Einrichtungen und Strukturen sowie der Bedienung im öffentlichen Personennahverkehr,
- 2.
- eine Bewertung der Bestandsaufnahme (Verkehrsanalyse),
- 3.
- eine Abschätzung des im Planungszeitraum zu erwartenden Personennahverkehrs (Verkehrsprognose),
- 4.
- die Ziele und die Rahmenvorgaben für die Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs,
- 5.
- Aussagen zur Vernetzung zwischen Schienenpersonennahverkehr und dem sonstigen öffentlichen Personennahverkehr unter Berücksichtigung der Entscheidungen der Landesverkehrsgesellschaft,
- 6.
- die Anforderungen an die Verkehrsinfrastruktur sowie die geplanten Investitionen und
- 7.
- die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs zu enthalten.
(3) Das Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, dem Staatsministerium der Finanzen und dem Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft Einzelheiten zur Aufstellung von Nahverkehrsplänen und deren räumlicher Abgrenzung festzulegen.4
§ 6
Investitionsprogramm
1Das Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr stellt auf der Grundlage des Staatshaushaltsplanes und der Finanzplanung für den mittelfristigen Planungszeitraum jährlich ein fortzuschreibendes Landesinvestitionsprogramm für Maßnahmen des öffentlichen Personennahverkehrs auf. 2Bei der Programmaufstellung sind die Ziele des Gesetzes über die Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz – GVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Januar 1988 (BGBl. I S. 100), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 5. April 2011 (BGBl. I S. 554, 555), in der jeweils geltenden Fassung, sowie die Verkehrsentwicklung zu berücksichtigen; die Ziele der Raumordnung und Landesplanung sind zu beachten und die Grundsätze der Raumordnung und Landesplanung zu berücksichtigen. 3Der Beauftrage der Sächsischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen ist rechtzeitig vorher anzuhören.5
§ 7
Finanzierung
(1) 1Der öffentliche Personennahverkehr soll seine Aufwendungen soweit wie möglich selbst erwirtschaften. 2Im übrigen sichern die Aufgabenträger des öffentlichen Personennahverkehrs seine finanziellen Grundlagen unter Berücksichtigung der Finanzierungsleistungen des Bundes und des Freistaates ab.
(2) 1Der Freistaat fördert den öffentlichen Personennahverkehr durch
- 1.
- Zuwendungen (Bundesmittel)
- a)
- nach § 5 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz – RegG) vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2395), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2871) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, in Höhe der auf den Freistaat Sachsen entfallenden Mittel,
- b)
- nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz,
- c)
- nach dem Gesetz zur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen (Entflechtungsgesetz – EntflechtG) vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098, 2102), in der jeweils geltenden Fassung,
- d)
- zur Erstellung der Nahverkehrspläne nach § 5 dieses Gesetzes,
- 2.
- Zuwendungen (Landesmittel) nach Maßgabe des Staatshaushaltsplanes und
- a)
- nach dem Sächsischen Finanzausgleichsgesetz in der jeweils geltenden Fassung,
- b)
- nach dem Gesetz zur Finanzierung des Ausbildungsverkehrs im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNVFinAusG) vom 12. Dezember 2008 (SächsGVBl. S. 866, 883), geändert durch Artikel 33 des Gesetzes vom 15. Dezember 2010 (SächsGVBl. S. 387, 404), in der jeweils geltenden Fassung,
- c)
- nach § 148 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (Artikel 1 des Gesetzes vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046, 1047), das zuletzt durch Artikel 6 Abs. 8 des Gesetzes vom 20. Juni 2011 (BGBl. I S. 1114, 1122) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung.
2Das Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Staatsministerium der Finanzen und dem Staatsministerium des Innern das Nähere durch Rechtsverordnung zu regeln.
(3) Mit den Mitteln nach § 5 in Verbindung mit § 8 des Regionalisierungsgesetzes ist insbesondere der Schienenpersonennahverkehr zu finanzieren.6
§ 8
Inkrafttreten
1Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.7
2Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und ist zu verkünden.
Dresden, den 14. Dezember 1995
Der Landtagspräsident
Erich Iltgen
Der Ministerpräsident
In Vertretung
Dr. Hans Geisler
Der Staatsminister
für Soziales, Gesundheit und Familie
Der Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit
Dr. Kajo Schommer