Gesetz
über den öffentlichen Personennahverkehr im Freistaat Sachsen (ÖPNVG)
Vom 14. Dezember 1995
Rechtsbereinigt mit Stand vom 23. Mai 2004
Der Sächsische Landtag hat am 14. Dezember 1995 das folgende Gesetz beschlossen:
§ 1
Begriffsbestimmung und Anwendungsbereich
(1) Öffentlicher Personennahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr zu befriedigen. Ein solcher Verkehr liegt vor, wenn bei der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die Beförderungsstrecke 50 Kilometer oder die Beförderungszeit eine Stunde nicht übersteigt.
(2) Dieses Gesetz gilt für den öffentlichen Personennahverkehr auf Schiene und Straße. Öffentlicher Personennahverkehr ist auch der Verkehr mit Taxen oder Mietwagen, der einen Verkehr nach Absatz 1 ersetzt, ergänzt oder verdichtet. Er umfaßt auch den Linienverkehr mit Fähren, Bergbahnen und anderen Sonderverkehrsmitteln.
(3) Das Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit entscheidet im Zweifelsfall, ob die Voraussetzungen nach Absatz 1 und 2 vorliegen.
§ 2
Zielstellung
(1) Der öffentliche Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Dies ist bei der Ausgestaltung der Haushalte der Aufgabenträger nach § 3 Abs. 1 angemessen zu berücksichtigen. Der öffentliche Personennahverkehr soll im Interesse des Umweltschutzes, der Verkehrssicherheit, der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur sowie der Herstellung und Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen im gesamten Freistaat zur Verfügung stehen. Die Bedienung mit öffentlichen Verkehrsmitteln soll auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichtet werden und den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit berücksichtigen.
(2) Die Aufgabenträger arbeiten bei der Planung, Organisation und Ausgestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs zusammen und stimmen sich miteinander ab. Der Freistaat hat dabei im Rahmen seiner Gesamtverantwortung auf einen Interessenausgleich hinzuwirken. Dies gilt auch für den die Staatsgrenze überschreitenden öffentlichen Personennahverkehr.
(3) In verdichteten Räumen ist ein nachfrageorientierter Bedienungstakt vorzusehen, um eine angemessene Erschließung mit öffentlichen Verkehrsmitteln sicherzustellen. Dem öffentlichen Personennahverkehr soll in verdichteten Räumen der Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr eingeräumt werden. Die Bedienungsstandards für die verdichteten Räume sollen, soweit dies der Nachfrage entspricht, im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit mit abgestuften Bedienungskonzepten auch in den ländlichen Räumen angeboten werden.
(4) Schienengebundene Verkehrsleistungen sollen als Grundangebot ausgestaltet und die übrigen Leistungen des öffentlichen Personennahverkehrs darauf ausgerichtet werden.
(5) Zur Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs ist eine integrierte Verkehrsgestaltung durch die Bildung von Zweckverbänden und Verkehrskooperationen auch ländergrenzenüberschreitend anzustreben.
(6) Neben den Sicherheitsbedürfnissen der Fahrgäste, insbesondere von Frauen, sind die Belange von Menschen mit Behinderung sowie die Bedürfnisse von Personen, die in ihrer Mobilität beeinträchtigt sind, besonders zu berücksichtigen.
(7) Bei der Planung, Ausgestaltung und Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs sind die Ziele der Raumordnung und der Landesplanung zu beachten und die Grundsätze der Raumordnung und Landesplanung zu berücksichtigen. Bei der Regionalplanung sind die Ziele nach den Absätze 1 bis 6 sowie die Ziele der Nahverkehrsplanung nach § 5 zu beachten. Bei der Bauleitplanung sind die Belange des öffentlichen Personennahverkehrs nach § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 8 Baugesetzbuch zu berücksichtigen.
§ 3
Aufgabenbestimmung und Aufgabenträger
(1) Die Planung, Organisation und Ausgestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs ist vorbehaltlich der §§ 4 und 5 eine freiwillige Aufgabe der Landkreise und Kreisfreien Städte. Die Landkreise können durch Rechtsverordnung kreisangehörigen Gemeinden oder deren Zusammenschlüssen auf deren Antrag oder mit deren Zustimmung einzelne Aufgaben des öffentlichen Personennahverkehrs übertragen.
(2) Der Freistaat Sachsen ist in Abweichung von Absatz 1 bis zum 31. Mai 2002 Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs. Der Freistaat Sachsen nimmt die Aufgabe in Abstimmung mit den kommunalen Aufgabenträgern wahr, soweit nicht durch eine Rechtsverordnung nach Absatz 4 etwas anderes bestimmt wird.
(3) (aufgehoben)
(4) Das Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung auf Antrag eines Aufgabenträgers nach Absatz 1 im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern und dem Staatsministerium der Finanzen festzulegen, daß räumlich oder nach der Art der Verkehrsbedienung abgegrenzte Teile des Schienenpersonennahverkehrs von der Aufgabenträgerschaft nach Absatz 2 ausgenommen werden.
(5) Zuständige Behörde für die Vereinbarung und Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates vom 26. Juni 1969 (ABl. EG Nr. L 156 S. 1 ) in der jeweils geltenden Fassung ist der Aufgabenträger oder das Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit, sofern die Aufgabe des Schienenpersonennahverkehrs vom Freistaat Sachsen wahrgenommen wird. 1
§ 4
Zusammenarbeit der kommunalen Aufgabenträger
(1) Die Landkreise und Kreisfreien Städte arbeiten flächendeckend in den Nahverkehrsräumen Vogtland, Chemnitz/Zwickau, Leipzig, Oberelbe und Oberlausitz/Niederschlesien in einer Form nach dem Sächsischen Gesetz über kommunale Zusammenarbeit in der jeweils gültigen Fassung zusammen.
(2) Den Zusammenschlüssen nach Absatz 1 ist ab 1. Juni 2002 die Aufgabe des Schienenpersonennahverkehrs zu übertragen.
(3) (aufgehoben) 2
§ 5
Nahverkehrsplan
(1) Die Aufgabenträger gemäß § 3 Abs. 1 haben in Abstimmung untereinander für den Nahverkehrsraum einen verbindlichen Nahverkehrsplan zu erstellen, zu beschließen und fortzuschreiben.
(2) Der Nahverkehrsplan bildet den Rahmen für die Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs. Er hat insbesondere
- 1.
- eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Einrichtungen und Strukturen sowie der Bedienung im öffentlichen Personennahverkehr,
- 2.
- eine Bewertung der Bestandsaufnahme (Verkehrsanalyse),
- 3.
- eine Abschätzung des im Planungszeitraum zu erwartenden Personennahverkehrs (Verkehrsprognose),
- 4.
- die Ziele und die Rahmenvorgaben für die Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs,
- 5.
- Aussagen zur Vernetzung zwischen Schienenpersonennahverkehr und dem sonstigen öffentlichen Personennahverkehr unter Berücksichtigung der Entscheidungen der Landesverkehrsgesellschaft,
- 6.
- die Anforderungen an die Verkehrsinfrastruktur sowie die geplanten Investitionen und
- 7.
- die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs zu enthalten.
(3) Das Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, dem Staatsministerium der Finanzen und dem Staatsministerium für Umwelt und Landesentwicklung Einzelheiten zur Aufstellung von Nahverkehrsplänen und deren räumlicher Abgrenzung festzulegen. 3
§ 6
Investitionsprogramm
Das Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit stellt auf der Grundlage des Staatshaushaltsplanes und der Finanzplanung für den mittelfristigen Planungszeitraum jährlich ein fortzuschreibendes Landesinvestitionsprogramm für Maßnahmen des öffentlichen Personennahverkehrs auf. Bei der Programmaufstellung sind die Ziele des Gesetzes über die Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden ( Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz – GVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Januar 1988 (BGBl. I S. 100), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 27. Dezember 1993 (BGBl. S. 2378) sowie die Verkehrsentwicklung zu berücksichtigen; die Ziele der Raumordnung und Landesplanung sind zu beachten und die Grundsätze der Raumordnung und Landesplanung zu berücksichtigen.
§ 7
Finanzierung
(1) Der öffentliche Personennahverkehr soll seine Aufwendungen soweit wie möglich selbst erwirtschaften. Im übrigen sichern die Aufgabenträger des öffentlichen Personennahverkehrs seine finanziellen Grundlagen unter Berücksichtigung der Finanzierungsleistungen des Bundes und des Freistaates ab.
(2) Der Freistaat Sachsen fördert den ÖPNV durch
- 1.
- Zuwendungen (Bundesmittel)
- a)
- nach § 5 in Verbindung mit § 8 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs ( Regionalisierungsgesetz) vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2395) in Höhe der auf den Freistaat Sachsen entfallenden Mittel,
- b)
- nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz,
- c)
- zur Erstellung der Nahverkehrspläne nach § 5 dieses Gesetzes,
- d)
- zur Finanzierung der Landesverkehrsgesellschaft nach § 3 Abs. 3 dieses Gesetzes,
- 2.
- Zuwendungen (Landesmittel) nach Maßgabe des Staatshaushaltsplanes und
- a)
- nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz,
- b)
- nach dem jährlichen Gesetz über einen Finanzausgleich mit den Gemeinden und Landkreisen im Freistaat Sachsen,
- c)
- nach § 45a des Personenbeförderungsgesetzes ( PBefG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. August 1990 (BGBl. I S. 1690), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378),
- d)
- nach § 59 Abs. 3 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz – SchwbG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421, ber. S. 1550), zuletzt geändert durch Artikel 97 des Gesetzes vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2911).
(3) Mit den Mitteln nach § 5 in Verbindung mit § 8 des Regionalisierungsgesetzes ist insbesondere der Schienenpersonennahverkehr zu finanzieren.
§ 8
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. 4
Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und ist zu verkünden.
Dresden, den 14. Dezember 1995
Der Landtagspräsident
Erich Iltgen
Der Ministerpräsident
In Vertretung
Dr. Hans Geisler
Der Staatsminister
für Soziales, Gesundheit und Familie
Der Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit
Dr. Kajo Schommer